06.03.2008

Ein Lolly für William Gibson

Irgendwie tut mir William Gibson leid. Nicht dass er einem wirklich leid tun müsste, aber wer ihn schon mal live auf einer mäßig interessanten Lesung wie der gestern in München miterleben konnte, weiß sicher was ich meine.

Da sitzt eine gebeugte Gestalt auf dem Podium, die aus Spitzwegs "Der arme Poet" entsprungen sein könnte (aber mit sündhaft teuren Klamotten) und versucht sich wach zu halten, während ein Schauspieler routiniert zwei übersetzte Kapitel aus seinem Roman "Spook Country" bzw. "Quellcode" vorliest.

In den Zuhörerreihen vor allem junges Volk, vor allem Studenten, die wie ich gekommen sind, um William Gibson, den Autor von "Neuromancer", "Idoru" und "Pattern Recognition" zu sehen. Die, denke ich, vor allem gekommen sind, um die Legende William Gibson zu sehen und nichts anderes sehen wollen als diese Legende.

Ich habe keinen Beweis dafür, aber wenn während einer Lesung ständig auch an den Stellen gelacht wird, die überhaupt nicht lustig sind, dann beschleicht mich das Gefühl, dass in den Köpfen der Zuhörer ein Programm aufläuft, das nicht vom Autor übertragen wird, sondern schon vorinstalliert zur Lesung mitgebracht wurde.

Ich habe ihn gefragt, warum er begonnen hat zu schreiben und warum er heute schreibt. In der Antwort habe ich mich teilweise wiedererkannt:

Mit 14 Jahren war er der Überzeugung, dass es nichts cooleres gibt, als SciFi-Autoren und so wollte er auch einer werden. Aber mit 16 kam etwas entscheidendes dazwischen: Das wirkliche Leben. Und das hielt ihn auch in seinem Griff, bis er Mitte 20 als ewiger Student, der als HiWi ein kärgliches Zubrot verdiente, plötzlich feststellte, dass er jetzt endlich anfangen müsse etwas zu tun, um seine kreative Karriere zu starten.
Und er hatte Glück damit. Seine Geschichten wurden angenommen und durch einen glücklichen Zufall wurde er außerdem der Vater des Begriffes "Cyberspace."

Und so ist er dabei geblieben. Auch wenn sein anfängliches Genre, der Mainstream der Science Fiction seiner Meinung nach inzwischen fett und hässlich geworden ist, weil das Genre nostalgisch auf die gute alte Zeit zurückschaut, als es noch genügte Helden in ihren Raumschiffen zu den Sternen zu schicken.

Und so schreibt er auch keine Science Fiction mehr, liest sie noch nicht einmal und begnügt sich damit, die Neuerscheinungen anhand ihrer Cover zu beurteilen.

Deswegen sei es mir erlaubt auch ihn hier nur anhand seines Covers zu beurteilen und ein wenig zu bemitleiden.

Irgendwie bin ich neidisch auf William Gibson. Was kann man als Schriftsteller mehr erreichen, als zu den einflussreichsten Autoren der letzten Jahrzehnte gezählt zu werden? Was kann man mehr erreichen, als die menschliche Sprache mit einem neuen Wort und damit das menschliche
Denken mit einem neuen Konzept zu bereichern?

Da ist es kein Wunder, wenn man irgendwann müde und erfolgreich wird und die eigene Legende den Rest erledigen lässt.

Ich habe ihm am Signiertisch meinen letzten Lolly geschenkt...


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