06.09.2007

Kartieren und Erzählen

Ich bin jedes Mal ein wenig enttäuscht, wenn ich einen Fantasy-Roman aufschlage, der keine Karte enthält. Ahnentafeln der Helden oder Abhandlungen über Pfeifenkraut müssen nicht unbedingt sein, aber Karten gehören zur Fantasy wie Orks und diese komischen Männer mit den spitzen Hüten, die Zaubern können.

Warum ist das so? Um es schon mal vorweg zu nehmen: Ich hab keine Ahnung und ich will hier auch keine wissenschaftliche Abhandlung über das Thema schreiben, aber ich finde die Frage interessant und vielleicht bringt das euch ja die eine oder andere Anregung.

Die Verbindung Karte-Fantasy geht sogar so weit, dass es ein paar Bücher und Internetseiten gibt, die sich ausschließlich mit diesem Thema befassen. Natürlich der "Historische Atlas von Mittelerde" von Karen Wynn Fonstad und der weniger bekannte "Atlas of Fantasy" von Jeremiah Benjamin Post.

Auch wenn man wie Fonstad durchaus nachweisen kann, dass Karten wie aus dem Herrn der Ringe für eine realistische Landschaft stehen können ist doch klar, dass in den meisten Fällen kein realer Hintergrund vorliegt. Die Karten dienen also weniger dazu Landschaft in Symbole zu übersetzen sondern mehr dazu eine Geschichte in Symbole zu zu fassen.

Bleiben wir beim Herrn der Ringe. Wer die Bücher gelesen hat, der braucht nur die Karte, um die ganze Geschichte nachzuerleben. Und im großen und Ganzen folgt der Weg der Hobbits auf der Karte auch dem Lesefluss des Buches. Von links nach rechts. Aus dem Auenland über die Wetterspitze, Bruchtal, Moria usw. bis nach Mordor.

Spontan fällt mir auch kein Buch ein, das sich topographisch oder erzählerisch im Kreis dreht. Die meisten laufen brav von A nach B und kommen höchstens wieder zu A zurück.

Man muss - natürlich nur, wenn die Karte genug Informationen enthält - noch nicht einmal das Buch lesen, um aus einer Karte eine Geschichte herauszulesen. Nehmen wir diesmal den Hobbit als Beispiel. Allein aus der Karte wird klar, dass Bilbo sich mit Spinnen, Elfen, einem Drachen und einem Kerl namens Beorn herumschlagen muss. Allein die anwesenheit eines Zeichens gibt den Kern einer Geschichte.

Umgekehrt gilt auch, dass die Abwesenheit von Zeichen eine Geschichte verhindert. Aber dennoch ist diese Leere in vielen Karten zu finden: Das Meer. Wenn überhaupt dann dient das Meer als ein schnelles Transportmittel zwischen den wirklich wichtigen Schauplätzen der Handlung, aber meist erfüllt es nur einen kosmetischen Sinn. Sind wir einfach daran gewöhnt ein Meer an den Grenzen unserer Karten zu haben? Oder ist das etwas, das wir aus dem Lesen von Tolkien übernommen haben? Dort ist das Meer eine Verbindung zur Vergangenheit und zur Zukunft und es schließt Zeitalter wie Kapitel, indem es sich verändert und Teile Mittelerdes überdeckt.

Warum also nicht einmal das Meer zum Mittelpunkt einer Geschichte machen? Das Meer das ansteigt und vieles verschligt was lange Bestand hatte, oder das Meer, das zurückweicht und Boten der Vergangenheit freigibt? Eine Karte würde hier nur teilweise Sinn machen, aber das wäre auch der Reiz daran.

Oder warum nicht eine Karte zeichnen/schreiben die schon die ganze Geschichte enthält? Das wäre keine besonders komplexe geschichte, aber ein neues Konzept.

Zwei Links, zum weiterschauen und weiterdenken:

Fantasy-atlas.org

visualcomplexity.com

2 Kommentare:

  1. Hi Sebastian,

    interessante Gedanken! Wobei ich nicht ganz verstanden habe, was Du mit den Eckpunkten des Dreigestirns Landschaft/Symbole/Geschichte meinst, die Dir zufolge ineinander "übersetzt" werden - bzw. worauf willst Du in dem Absatz präzise hinaus?

    Das mit den Zeichen auf der Karte, die für sich schon im Geiste des Betrachters etwas auslösen, empfinde ich als sehr nachvollziebar. Wobei die "Abwesenheit von Zeichen" freilich nur dann so funktioniert, wie Du es beschreibst (eine Geschichte werde dadurch "verhindert"), sofern in gewissem Abstand zu dieser Leere eben doch Zeichen und Zeichnungen zu sehen sind, da man dann neugierig auf die weißen Stellen deutet und denkt: Was mag HIER wohl leben und weben? ;-)

    Bücher mit dem Meer als Schauplatz gibt es zur Genüge - ganz neu demnächst auf dem Markt Christoph Hardebuschs "Sturmwelten", an älteren Werken fällt mir spontan der dritte Teil von Ursula K. LeGuins Erdsee-Saga ein ("The Farthest Shore"), wo übrigens auch der Sinn von Karten in einem maritimen Setting deutlich wird - ich nenne nur das Stichwort Inseln!

    A propos - Inseln sind wohl auch mit eine Erklärung dafür, daß so viele Karten in Werken der phantastischen Literatur durch das Meer begrenzt werden: Wir als Autoren (und Leser) projizieren unsere Vorstellung von abgeschotteter Unberührtheit und paradiesischer Idylle in so gut wie jede (auch "reale" - ein Wort, das Du auch gebraucht hast, worüber man allerdings ebenfalls lange diskutieren könnte, wie ich meine) insulanische Örtlichkeit, was diese für uns letztlich interessant und attraktiv macht und außerdem unsere Aufmerksamkeit innerhalb eines vorab definierten Radius fokussiert. (Ich erinnere mich noch gut daran, wie mich beim Herrn der Ringe immer am meisten die entlegenen Gebiete der Karte fasziniert haben - das Hexenreich von Angmar, Rhûn, der Übergang nach Beleriand usw.)

    Viele Grüße,
    -Manuel

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  2. Du erinnerst dich an unser Gespräch über Erhard Ringer? Ich kannte seine Seite noch nicht, danke für den Link!

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