20.06.2011

Plötzlich Jury (und was man daraus lernen kann)

Juror zu sein ist geil, ich steh drauf. Wie der eine oder andere vielleicht noch weiß, hat mein Verlag King of Fools den King of Djungle-Literaturwettbewerb ausgeschrieben und voila: vor ein paar Tagen war eine Mail mit den Einsendungen in meinem Posteingang. Ich bin Teil der Jury. Na toll ...

Und kaum hab ich die ersten Zeilen der ersten eingereichten Geschichte gelesen, als eine seltsame – ich möchte fast sagen unheilvolle – Verwandlung mit mir vor sich ging:
Jahrelang war ich Möchtegernautor bin gegen imaginäre und echte Wände in Verlagen, Literaturagenturen und -dingens angerannt und hab mich ständig gefragt was andere haben was ich nicht habe.

Und dann - ZACK! - bin ich der hässliche, fette Troll, der Deine Träume kaputt macht und Dir sagt, dass das was Du geschrieben hast Scheiße ist. Oder noch schlimmer: Es ist nicht scheiße, sondern langweilig.

Ehrlich: Das tut mir leid. Vor allem weil ich weiß, wie viel Arbeit, Herzblut und Zeit in jeder geschriebenen Zeile steckt. Aber wir haben uns für einen anderen Bewerber entschieden, nach dieser Art von Geschichte suchen wir momentan nicht, aber wir wünschen Ihnen viel Glück blablablablabla

Ungefähr fünf Minuten lang war ich der totale Arsch, hab mich über unnötige Adjektive, schwülstige Emotionsgeschwüre der übelsten Sorte, völlig fehlgeleitete Vergleiche, weichgespülte Handlungsideen, blasse Charaktäre, Wortwiederholungen ohne Ende, langweilige Dialoge, leblosen Satzbau, deplatzierte Ausdrücke, Handlungsblocks aus dem Romanbaukasten, Anachronismen, Peinlichkeiten und unsägliche Entitäten, die sogar Lovecraft das Fürchten gelehrt hätten – wo war ich? Ach ja – aufgeregt habe ich mich darüber. In gerechtem Zorn übrigens, denn was bilden sich diese Schreiberlinge überhaupt ein mir mit so einem Dreck die Zeit zu stehlen?

Und dann ist eine Angst meine Nervenbahnen hochgekrochen gekommen. Kalt wie Tau und tödlich wie Laudanum. „Hybris!“, hat sie gerufen und etwas das nach „Mene Tekel Ufarsim.“ geklungen hat und ich hab mich ganz klein gemacht, damit sie mich nicht findet.
Denn was ist, wenn ich keinen Deut besser bin, als diese Verfasser von Blindtexten mit Krückstock?

Nach einer kurzen Ohnmacht, die mich vor einem totalen Ausfall des zentralen Nervensystems bewahrt hat, hab ich die Reste meines Selbstbewusstseins zusammengekratzt und festgestellt, das meine Befürchtungen größtenteils unbegründet sind. Und wie alles was ich liebe (egal ob Menschen, Dinge, Tätigkeiten oder Ideen) sind beim weiteren Bewerten der Geschichten einige Lämpchen in meinem Kopf angegangen und haben mir gezeigt, dass ich wieder etwas gelernt habe.

Hier meine Erkenntnisse an jeden (inklusive mich selbst), der etwas zu einem Wettbewerb einreicht:

1. Wenn ein Exposee verlangt wird, dann schreib auch bitte eines. Ich fand es überraschend frustrierend nicht zu wissen, 'ob xy es wohl schaffen wird yz zu xxen'. Und wie soll ich bitte die Handlung bewerten, wenn ich nur das erste Drittel beschrieben bekomme?
Für jedes echte Exposee, das mutig/ehrlich genug ist das Ende zu verraten auch wenn der Held / die Heldin / die Handlung nicht bis dahin durchhält, hat Pluspunkte bekommen. Meistens waren das eh die Geschichten, denen man angemerkt hat, dass man sie nicht nur beschrieben sondern auch daran gearbeitet hat.

2. Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Wenn eine Handlung so vorhersehbar ist, dass selbst ein Juror, der von Krimis / Nackenbeißern / Vampirgeschichten / Fantasyromanen / Historischen Gesellschaftspanoramen keine Ahnung hat (also ich) erkennen kann, wohin das führt (und woraus der ganze Quatsch seine Inspiration zieht), dann taugt das nichts. Ist wie mit Deinem Lieblingspullover, den Du schon hast seit Du 12 bist und dessen braune Flecken Dich an diese unvergessliche Eiscreme-Party mit Angelica am Gardasee erinnern. Du würdest ihn um kein Geld der Welt hergeben, aber das bewahrt Dich nur davor herauszufinden, dass jemand anderes ihn auch für kein Geld der Welt nehmen würde.
Das ist echt bitter und ich seh' spontan auch keine Möglichkeit das zu verhindern außer sich so lange der Kritik zu stellen, bis man was gelernt hat. Aber wenn man schon mal ein Jahr in einen 300-Seiten-Roman investiert hat, dann ist man für Kritik meist nicht ganz so aufgeschlossen …

3. Ja, manches ist auch Geschmackssache. Trotzdem waren bisher die besten Geschichten nicht aus meinen bevorzugten Genres. Schade eigentlich.

Ich halte euch auf dem Laufenden. Vielleicht gibt’s ja noch mehr zu lernen.
Ich steh' drauf, wenn die Lämpchen angehen …
Und ich steh auf die gute Literatur, die auch unter den Einsendungen ist ^___^

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