21.01.2009

Charon Ergodos Sebastian

Über Charon Sebastian ist wenig mehr bekannt als das, was man in seinen Büchern über ihn lesen kann. Mit entsprechender Vorsicht muss man an seine Selbstaussagen herangehen. Vor allem seine wechselnden Mittelnamen - Ergodos, Melmoth, etc. - sind hierbei eine Warnung an den leichtgläubigen Wanderer, aber dazu später mehr.
Zunächst eine biographische Skizze seines Lebens, soweit sie in Umrissen dargestellt werden kann:
Als einigermaßen gesichert gelten darf seine griechische oder zypriotische Herkunft, obwohl es sich bei seinem Namen in Teilen um ein Pseudonym handeln dürfte. Am wahrscheinlichsten ist, dass sein Vater aus dem griechischen Sprachraum stammte, wie aus seinen Worten

"Wie der Krieg die glücklicheren Tage meines Vaters in Athen beendete, rauschte hier das Fallbeil der Krankheit auf mich herab."
deutlich wird (Im Vorwort zu seinem Roman "Die hohe Kunst des Grillens in den Tagen vor Prometheus"). Er schreibt von einer unbeschwerten Kindheit im Schatten der Akropolis und einer Übersiedlung nach Deutschland. Aus weiteren Andeutungen (siehe das einzige bekannte Interview C. E. Sebastians im Jahr 1980 in Freising bei München) wird deutlich, dass sein Großvater Väterlicherseits mit dem aufkommenden Nationalsozialismus nicht nur sympathisierte, sondern das Regime unter Hitler aktiv unterstützte. Einige in der Glyptotek erhalten gebliebene Frachtbriefe zu antiken Plastiken mit dem Namensvermerk "Angelos Sebastian" passen ins Bild, sind aber kein Beweis, denn außer ihnen gibt es keinen Nachweis, dass Charons Großvater den Namen Angelos trug. Ließe sich das nachweisen, währe die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch Charons eigentlicher Vorname - nach griechischer Sitte - der seines Großvaters Angelos war.
Mehr wissen wir über seinen Vater Athanasios. Sogar ein paar Fotos haben sich erhalten, die ihn in Wehrmachtsuniform im Kreis seiner Kameraden zeigen. Sie sind in schlechten Zustand und da der Autor dieser Abhandlung bei Übersetzungen aus dem Griechischen auf die Hilfe dritter angewiesen ist, kann auch hier nur vermutet werden, welcher Einheit Athanasios angehörte oder welche Funktion er ausübte.

Charon machte es sich zu einer Angewohnheit immer und überall schreiben zu können. Das machte auch viele seiner Bücher zu Unikaten, da er regelmäßig am Ende seiner Lesungen Kurzgeschichten in die Bücher schrieb, die er signierte. Je ein Satz pro Buch, mit dem jeweiligen Datum und der jeweiligen Uhrzeit, so dass die zerstückelte Geschichte nur gelesen werden konnte, wenn seine Leser die Sätze zusammenbrachten.
Darüber hinaus können aufmerksame Leser noch immer Teile seiner Werke fast überall auf der Welt finden. Hauswände, Straßen, Baumrinden - nichts war vor ihm sicher und so sind viele seiner Texte städtischen Reinigungskräften oder einfach nur den alltäglichen Veränderungen zum Opfer gefallen. Andere wie eine Inschrift unweit der Externsteine in Detmold - "Das Gedächtnis ist mit dem Herzen durch Dankbarkeit verbunden, mit dem Körper durch Widerholung." - sind bis heute entzifferbar.

Überhaupt schien er vom Schreiben geradezu besessen zu sein. Er experimentierte nicht nur mit den unterschiedlichsten Medien, wie den Tastaturen von Telefonen oder Ausrissen aus Zeitungen, er versuchte auch eine allgemeinverständliche Symbolsprache zu entwickeln, die allerdings nie größere Bekanntheit erreichte und ohne Symbolwörterbuch nicht verständlich ist.

Aufsehen erregte dagegen sein "Buch das frisst", eine Horror-Erzählung über ein bösartiges Buch, das seine Besitzer über kurz oder lang umbringt. Sei es durch seinen perfieden Inhalt, oder falls das nicht zu einem Resultat führt, durch einen einfachen Schnitt, zugefügt beim Umblättern der Seiten, der sich entzündet und zu einer unheilbaren Blutvergiftung führt.
Aufsehen nicht durch die literarische Qualität des Buches, sondern weil es tatächlich auffallend viele Todes- und Unfälle im Umfeld dieses Buches gab. Angefangen bei seinem ersten Lektor, der vom Dach des Verlagsgebäudes gesprungen ist. Böse Zungen behaupten, dass dies indess der Qualität des Buches zuzuschreiben sei.

C. E. Sebastian hatte seine Freude an Sprach- und Wortspielereien. Mehrere leipogrammatische Texte sind erhalten, ebenso einige Kurzgeschichten in Form eines Daumenkinos.

In einem seiner Bücher gibt es eine Stelle, in der die Protagonisten in die Zukunft blickten. Um dies zu veranschaulichen, schnitt er einfach ein Loch in die rechte Seite, so dass man lesen konnte, was zwei Seiten später passieren würde.
Daneben gibt es mehrere Stellen in denen die Seiten gefaltet oder aufgerollt werden müssen, um den (verborgenen) Sinn zu erfassen. Auch in Lesungen erschien er mehrmals mit durchlöcherten Seiten, durch welche er passend zum vorgetragenen Text sprach oder das Publikum betrachtete.

Große Erfolge waren sein "unendliches" Buch, das kreisförmig gebunden ist, so dass seine letzte Seite wieder zur ersten zurückführtt und die runden Blätter, Kurzgeschichten, die auf eine Seite passen, deren Ende wieder an den Anfang geklebt wurde, so dass sich die Geschichte beständig im Kreis dreht. Die bewegendste seiner Rundgeschichten ist wohl "Ein Tag aus dem Leben von G. S." die anspielend auf "Ein Tag im Leben des Dennisovitch" das ereignislose Leben eines Beamten beschreibt, der ein perfektes Beispiel dafür ist, dass der Mensch jeden Tag vielleicht 5 % neue Gedanken hat und die restliche Zeit über genau das denkt, was er gestern auch schon gedacht hat.

Das oben erwähnte Interview von 1980 ist auch das letzte zuverlässige Lebenszeichen, das wir von C. E. Sebastian besitzen. Er kündigte an, dass er nach Griechenland zurück kehren wollte, genauer gesagt auf das Eiland Kastelorizo, drei Kilometer vor der türkischen Küste. Heute von der Griechischen Regierung subventioniert und leicht zu erreichen war die Insel in den 80 größtenteils eine verlassene Insel mit nicht einmal 100 Einwohnern. Ob er die Insel je erreicht hat, ist unklar, er gilt seitdem als verschollen. Manche spekulieren, dass er in Australien sein könnte, wo sich Auswanderer von Kastelorizo angesiedelt haben.

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