17.02.2008

Die Differenz Maschine



von William Gibson und Bruce Sterling

Übersetzung von Walter Brumm.

Die Differenz Maschine das sind 550 Seiten Taschenbuch an deren Ende die Frage steht, warum man gerade ein wirklich gut geschriebenes Buch ausgelesen hat und trotzdem nicht zufrieden ist. Liegt es vielleicht daran, dass zu viele Ebenen geöffnet wurden, die am Ende leer zurückbleiben? Oder liegt es an der grauenhaften Vorstellung, dass unbedarfte Skriptkiddies nach dem Lesen von „Neuromancer“ über dieses Buch stolpern und es für einen langweiligen Historischen Roman halten? Oder liegt es daran, dass ein Roman, der in einer alternativen Vergangenheit spielt viel von seinem Wert verliert, wenn nicht das Alternative, sondern die Vergangenheit im Vordergrund steht?

Ich weiß es nicht, bin aber froh das Buch gelesen zu haben. Es hat meinen Horizont erweitert.

Der Leser wird in die Geschichte mit den Augen eines Luftschiffes eingeführt, das über einem Vorort von Cherbourg schwebt und am 17. Oktober 1905 eine photographische Aufnahme von Sybil Gerard macht, einer ehemaligen Prostituierten, deren Geschichte sich rückblickend ausbreitet.

Sie macht in London einen einflussreichen Mann, den Vertauten des Mexikanischen Präsidenten im Exil, zu ihrem Geliebten und erlebt einen Mordanschlag mit, der sie zwar ohne Geliebten, aber mit einer Handvoll Edelsteine zurück lässt.

Gerard ist die Tochter eines prominenten Anführers von Ludditen, also Maschinenstürmern, die von der Regierung brutal unterdrückt wurden.

Zurückgelassen wird auch der Leser, der sich im Folgenden an einer Rennstrecke in London beim Paläontologen Edward Mallory wiederfindet. Der hat einen Land-Leviathan (Brontosaurus) ausgegraben und alles was ihm zum Ruhm noch fehlt, ist ein wenig Geld. Da trifft es sich gut, dass einer seiner Freunde eine neue Art von Dampfwagen konstruiert hat, der dann im Rennen auch promt alle Konkurrenz hinter sich lässt. Mallory hat fast sein gesamtes Vermögen auf den Wagen gewettet und ist danach ein reicher Mann.

Aber neben der Rennstrecke ereignet sich etwas viel bedeutsameres: Er befreit die „Königin der Maschinen“ Ada Lovelace / Byron aus den Fängen eines zwielichtigen Pärchens, macht sich dadurch zum Feind der Unterwelt, die von ihm zurückhaben will, was er mit Ada Byron befreite: Lochkarten, dafür gemacht als Programm für die Rechenmaschinen zu dienen, die das Englische Empire steuern.

Ada Lovelace ist die Tochter von Lord Byron, der nicht im Griechischen Unabhängigkeitskrieg gefallen ist und nun das Empire als Oberhaupt der Industriell-radikalen Partei anführt.

Nach und nach kristallisiert sich heraus, was dieses Lochkarten-Programm enthält: Einen Modus, eine Möglichkeit der sicheren Vorhersage künftiger Rennergebnisse und somit quasi die Lizenz zum Gelddrucken.

Mal dahingestellt, ob ein Modus funktionieren würde oder nicht, ist er eh nur das Mittel zum Zweck um Mallory und seine Freunde durch ein London zu führen (ein so genannter „MacGuffin“), das sich mehr und mehr in einen Kreis der Hölle verwandelt.

Durch ungünstige Wetterverhältnisse bildet sich über der Industriestadt mit ihren tausenden Schornsteinen und ungenügenden Abwasserkanälen Smog, der die Vögel tot vom Himmel fallen lässt und die Stadt ins Chaos stürzt. Und Mallory muss mitten hinein ins Herz der Finsternis um Kapitän Swing den Anführer der Unterwelt zur Strecke zu bringen.

Die Differenz Maschine ist Steampunk. Mehr Steam als Punk, aber das darf man dem Buch nicht vorwerfen. Es steckt vielleicht ein wenig zu viel an Begeisterung der Autoren für das 19. Jahrhundert darin (besonders die von Bruce Sterling, der sich gerne mit toten und sterbenden Medien beschäftigt) um als Buch eine runde Sache zu sein, aber wer will ihnen das verübeln?

Das Ende des Buches, angesetzt im Jahr 1991, zeigt die Gefahr auf, die durch immer mächtigere Informationstechnologie entsteht: Erst hat jeder Mensch eine Nummer, dann ist jeder Mensch eine Nummer.

Wer in Geschichte aufgepasst hat trifft viele Freunde wieder. Marx und Engels zum Beispiel. Der eine leitet die Kommune New York, die sich vom Rest der Nordstaaten (die einen Krieg gegen die von den Engländern unterstützten Südstaaten führen) losgesagt hat, der andere ist ein englischer Lord, der für die Theorien des Kommunisten einige Sympathien hegt.

Ein ständiges Thema ist auch die Diskussion, ob der Fortschritt der Arten in „katastrophalen“ Schüben erfolgt oder nicht. Darwin wurde längst geadelt, also ist die Evolution schon kein Thema mehr, aber noch streiten sich die Gelehrten, ob die Dinosaurier dumme, plumpe Tiere waren, oder im Gegensatz dazu beweglich und schlau.

Wie gesagt: Wer in Geschichte aufgepasst hat...

Walter Brumm muss man für die Übersetzung loben. Er weiß zwar auch nicht, was der Unterschied zwischen Holster und Halfter ist, aber er macht seine Sache gut und lässt auch mal was im Original stehen, wenn es in der Übersetzung zu viel verlieren würde.

Aber ein paar Dinge gehen trotzdem verloren. Zum Beispiel die Reverenz von „Clacker“ zum modernen „Hacker“, wo in der deutschen Übersetzung „Locher“ steht.


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