Ein Roman von Philip K. Dick
Übersetzt von Gerd Burger und Barbara Krohn
Old Town ist eine typische Stadt der US-Amerikanischen 50er Jahre und Ragle Gumm ist einer ihrer Einwohner. Er verdient seinen Lebensunterhalt seit drei Jahren damit, regelmäßig bei einem Preisausschreiben in der örtlichen Zeitung zu gewinnen. Dafür muss er bestimmte Muster erkennen und vorhersagen auf welchem Planquadrat die Marsmenschen als nächstes auftauchen werden.
So weit so gut, bis Ragle Muster in seiner Wahrnehmung und seiner Umgebung bemerkt, die irgendwie nicht zusammenpassen. Da ist zum Beispiel sein Erlebnis in einen dunklen Raum zu kommen und eine Lichtschnur zu suchen, die nicht da ist. Der Raum hat einen Lichtschalter, aber Ragle erinnert sich vage an einen anderen Raum, in dem er eine Lichtschnur gewohnt war. Dann sind da die Gegenstände, die sich vor seinen Augen auflösen und nur einen Zettel zurücklassen auf dem in Druckschrift ihre Bezeichnung steht. Zum Beispiel "Eiswagen".
Und dann ist da noch die verwitterte Illustrierte, die er in ein paar Ruinen gefunden hat und die von einer angeblich berühmten Schauspielerin berichten, einer gewissen Marilyn Monroe...
Nach und nach stellen sich immer mehr Symptome einer handfesten Paranoia bei ihm ein. Er fühlt sich beobachtet, jeder scheint seinen Namen zu kennen, was nicht sein dürfte, auch wenn er als Dauersieger des Preisausschreibens kein Unbekannter ist und außerdem schafft er es nicht die Stadt zu verlassen.
Zumindest so lange, bis er beschließt auszubrechen. Mit der Hilfe von Freunden und einem gekaperten LKW verlässt er die Stadtgrenzen und erfährt was wirklich hinter ihm und Old Town steckt.
Das Jahr ist in Wirklichkeit 1998 und die Erde befindet sich im Krieg mit der Kolonie auf dem Mond. Während die "Lunatiker" die Auffassung vertreten, dass die Menschheit weiter ins All expandieren sollte, ist die Erdregierung strikt dagegen.
Um ihre Ziele durchzusetzen, bombardiert die Kolonie auf dem Mond die Erde regelmäßig mit kleineren und größeren Sprengköpfen und Ragle Gumm ist der Mann, der mit einiger Sicherheit vorhersagen kann, wo die nächste Rakete einschlagen wird. Er ist alles was zwischen der Erde und einer Niederlage steht.
Aber Ragle hat schon lange beschlossen zu den Lunatikern überzulaufen, denn er hält ihren Weg für den richtigen. Das konnte die Erdregierung natürlich nicht hinnehmen und nutzte deshalb eine seiner Schwächen aus. Als die Verantwortung für die Erde immer größer wurde und Ragle mit dem Druck immer weniger zurecht kam (zuletzt weil seine Vorhersagen den Krieg verlängerten), flüchtete er sich in seinen Gedanken in die heile Welt der 50'er zurück. Alles was die Regierung tun musste war, Ragle in diesen Fantasien zu unterstützen und Old Town zu bauen. Wer sich hier an Die Truman Show oder Ender's Game erinnert fühlt, liegt nicht falsch.
Wie bei Roald Dahl hat man hier einen Autor, der weiß wovon er schreibt, denn Philip K. Dick war einer, der sich mit Paranoia auskannte. Er hatte seine Erfahrungen mit Drogen, Abhörmaßnahmen der Regierung und höheren Mächten, die mit ihm Kontakt aufgenommen haben (VALIS).
Zeit aus den Fugen, sein sechstes Buch (von über 40) würde ich auch bei weitem nicht zu seinen stärksten Werken zählen. Aus dem Thema hätte man noch mehr herausholen können. Ab und zu macht Dick die Tür zu einer breiteren Auslegung auf, etwa wenn er das Verhältnis vom Wort zu seiner Bedeutung in den Raum stellt (Margueritte und seine Nicht-Pfeife lassen grüßen) oder die Frage aufkommt, wie leicht sich unsere "Realität" von Propaganda oder Stimmungsmacherei verändern lässt.
Aber im Großen und Ganzen ist "Zeit aus den Fugen" ein geradlinig erzählter Roman über einen Mann, der die Wahrheit und damit sich selbst findet.
Man fragt sich unwillkürlich, ob dieses Kunststück auch Philip K. Dick gelungen ist.
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